Kann es wirklich sein, dass Jesus von Nazareth nicht nur Gott auf Erden war, sondern die menschliche Natur annahm, ohne seine göttliche zu verlieren? Dass in der Person Jesu Christi die göttliche und die menschliche Natur vereint wurden, ist eine der unergründlichsten Tiefen der christlichen Offenbarung: „Und das Wort wurde Fleisch“ (Joh 1,14). Gott wurde Mensch, der Sohn Gottes erschien als ein hilfloses Kind. Die Menschwerdung ist ein unergründliches Geheimnis, aber sie gibt dem gesamten Inhalt des Neuen Testamentes seinen Sinn.
In den ersten Versen seines Evangeliums behandelt Johannes das Thema sorgsam. Statt vom Sohn spricht er vom Wort. Im Alten Testament sehen wir, dass das Wort Gottes nichts anderes ist als Gott selbst in Tätigkeit, es ist seine Macht bei der Erfüllung seines Willens (z.B. Psalm 33,6.9: „Die Himmel sind durch das Wort des Herrn gemacht … er sprach und es geschah, er gebot und es stand da“). Johannes erklärt im ersten Kapitel seines Evangeliums basierend darauf weitere sieben Eigenschaften des Wortes:
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„Im Anfang war das Wort“ – Das Wort ist ewig, ohne Anfang und Ende
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„Und das Wort war bei Gott“ – Das Wort ist eine Person
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„Und Gott war das Wort“ – Das Wort ist selbst Gott
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„Alle Dinge sind durch das Wort gemacht“ – Das Wort ist die Kraft des Schöpfers
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„In ihm war das Leben“ – Das Wort ist lebensspendend
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„Das Leben war das Licht der Menschen“ – Der das Leben gibt, gibt auch das Licht
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„Und das Wort ward Fleisch“ – Gott wird in der Person Jesus Christus sichtbar
Das Wort war Fleisch geworden, ein Kind wie wir es waren. Er, der selbst den Menschen erschaffen hatte, geriet nun selbst in die menschliche Erfahrungswelt. Er, der den gefallenen Engel erschaffen hatte, geriet nun selbst in die Lage, versucht zu werden. Er konnte gar nicht vermeiden versucht zu werden, denn erst der Konflikt mit dem Teufel machte sein Leben auf Erden zu einem echten Menschenleben.
Der Hebräerbrief zieht großen Trost aus diese Tatsache: „Daher musste er in jeder Hinsicht den Brüdern ähnlich werden … denn worin er selber gelitten hat und versucht ist, kann er denen helfen, die versucht werden“ (Hebr 2,17f). „Denn wir haben nicht einen Hohepriester, der kein Mitleid haben könnte mit unseren Schwachheiten, sondern einen, der in allem versucht worden ist in ähnlicher Weise wie wir, doch ohne Sünde. So lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe!“ (Hebr 4,15.16)
Das Geheimnis der Inkarnation ist unergründlich. Wir können es nicht erklären, sondern es nur feststellen, festhalten. Wir sollten klug genug sein, das nicht zu vergessen, darüber nicht zu phantasieren, sondern in Anbetung zufrieden zu sein.
„Denn ihr kennt ja die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er, obwohl er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich würdet.“ (2Kor 8,9)
Nach James I. Packer: „Gott erkennen“, Kapitel „Gott ist Fleisch geworden“, © 1977 Verlag der Liebenzeller Mission, 75378 Bad Liebenzell